Das Wunder von Glashütte

Wie eine sächsische Uhrenmanufaktur die Rückkehr an die Weltspitze schaffte

Anerkennung hat einen Namen: Tobias Christ. Der Schweizer leitet die Münchner Boutique des sächsischen Nobeluhrenbauers A. Lange & Söhne und lässt keinen Zweifel aufkommen: Die Konkurrenz aus Glashütte bei Dresden hat mit der Heimat hochwertiger Armbanduhren mit mechanischen Werken gleichgezogen.
Und wenn wir schon bei den Namen sind: A. Lange steht seit fast 170 Jahren für Spitzentechnik „made in Germany“ und seit 20 Jahren auch dafür, was Unternehmergeist, Traditionsbewußtsein, Können und Mut vermögen – eine fast unglaubliche Erfolgsgeschichte!
Angefangen hatte sie in Dresdens Semper-Oper.. Der Uhrmacher Ferdinand Adolph Lange hatte beim Bau der legendären Fünfminutenuhr mitgewirkt und das hier gewonnene Renommé genutzt, um 1845 im nahe gelegenen Glashütte eine eigene Manufaktur zu gründen. Die Taschenuhren des Familienunternehmens erlangten schon bald Weltruf und zählen heute zu den teuersten Stücken im einschlägigen Kunst- und Antiquitätenhandel.
Der Urenkel des Gründers, Walter Lange, 1924 geboren, blierb der Familienmtradition treu und wurde Uhrmacher. Doch kurz nach der Lehre wurde der junge Mann zur Wehrmacht eingezogen. Nahe Königsberg wurde er bei der Verteidigung von Flüchtlingstrecks verwundet, konnte noch in die sächsische Heimat zurückkehren und musste mitansehen, wie die elterliche Fabrik am letzten Kriegstag sojetischen Bomben zum Opfer fiel. Der Versuch, gemeinsam mit dem Vater und seinen zwei Brüdern das Werk wieder aufzubauen, scheiterte. 1948 wurde die Familie enteignet; das ruhmreiche Traditionsunternehmen ging unter in einer Plastikweckerfabrikation namens VEB Glashütte. Walter Lange floh bei Nacht und Nebel in den Westen, um der Zwangsverpflichtung im Uranbergbau zu entgehen.

Nach dem Mauerfall beschloss er, wieder bei Null Walter Lange, Urenkel des Firmengründers, baute nach der Wende das Traditionsunternehmen gegen alle Widerstände und Schwierigkeiten wieder auf – als 90-Jähriger kann er heute auf ein stolzes Lebenswerk zurückblickenanzufangen. Die Rückgabeverhandlungen mit der für solche Transaktionen zuständigen Treuhand standen unmittelbar vor dem Abschluss, als deren Chef Karsten Rohwedder in Düsseldorf von einem Scharfschützen der RAF ermordet wurde. Neue Gespräche mit dessen Nachfolgerin Birgit Breuel blieben erfolglos.
Aber Lange steckte nicht zurück. Er rekrutierte Mitarbeiter, die bei IWC in Schaffhausen, einem der führenden Schweizer Hersteller, für den Bau mechanischer Präzisionsuhren fit gemacht wurden. Dank der großzügigen finanziellen und personellen Hilfe der Schweizer und der tätigen (und wenn notwendig auch einträglichen) Fürsprache des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf konnte Lange gemeinsam mit IWC-Patron Günter Blümlein 1994 die erste eigene Kollektion von hochwertigen Armbanduhren präsentieren – auch ohne Unterstützung der Treuhand.

Vor allem die inzwischen legendäre Lange 1 – ein Meisterwerk aus 365 handgefertigten Einzelteilen – überzeugte Fachwelt und betuchte Kundschaft gleichermaßen. Das „Wunder von Glashütte“ war gelungen, A. Lange & Söhne wieder ganz oben in der Weltelite.
Und Glashütte ist heute, so der inzwischen 90-jährige Walter Lange, tatsächlich eine „blühende Landschaft“. In der Kleinstadt mit knapp 6800 Einwohnern haben sich zehn weitere Uhrenmanufakturen angesiedelt; über 1300 Menschen arbeiten in dieser Branche. Wichtigstes Kapital, sagt Geschäftsführer Wilhelm Schmid, „sind unsere Mitarbeiter“. Den Nachwuchs „bilden wir selber aus“, jedes Jahr 20 neue Lehrlinge. Wer mit 2 oder besser abschneidet, erhält eine unbefristete Festanstellung. Besonders stolz ist Schmid darauf, dass bislang kein einziger Azubi vorzeitig abgebrochen hat – auch in dieser Hinsicht ein Musterbetrieb. 

Das hat sich inzwischen bis zum Bundespräsidenten herumgesprochen: So konnte Joachim Gauck kürzlich der Uhrmacherin Sabine Lehmann (Foto rechts), ausgebildet in Glashütte/Sachsen, persönlich gratulieren – sie zählte bei der Meisterprüfung zu den zehn Besten bundesweit. Auch dieses Beispiel zeigt: Hier ist der Aufschwung Ost wirklich gelungen.   

Und, um ein Wort von Franz Josef Strauß aufzugreifen, nicht nur in Bayern, auch in Sachsen gehen die Uhren etwas anders – nämlich richtig.

 H.J.M.

(Alle Fotos: Lange Uhren GmbH)