Krieg und Frieden in einer Brust
Vor zwei Jahren starb Augustus, eine der widersprüchlichsten Gestalten der Weltgeschichte. Unter den zahlreichen Gedenktagen der letzten Jahre war der Todestag des römischen Kaisers der älteste – und zugleich der am wenigsten gewürdigte.
Nomen est omen: Geboren als Gaius Octavus mit den Beinamen Thurinus und Kaipias, mit 20 umbenannt als Gaius Iulius Divi filius Caesar, von Zeitgenossen aber auch Octavianus genannt und seit dem 36. Lebensjahr der Nachwelt bis heute bekannt als Augustus. Der immer wieder mal wechselnde Namen steht symbolisch für die unterschiedlichsten Eigenschaften, die dem Gründer des römischen Kaiserreichs teils nachgesagt werden, teils wohl wirklich zu eigen waren.
Bis heute sind sich die Historiker nicht einig, was für ein Mensch er war und wie seine Bedeutung für den Ablauf der Weltgeschichte einzuschätzen ist. Da ist der am 23. September 63 v. Chr. geborene Sohn aus etwas heruntergekommenem Adelsgeschlecht, der als Halbwaise bei der Großmutter aufwuchs und offenbar stark geprägt wurde von deren Bruder. Das war nämlich kein Geringerer als Gaius Julius Caesar, der sich gerade anschickte, die römische Republik aus den Angeln zu heben und sich selbst zum Diktator auf Lebenszeit zu machen.
Caesar hatte dem Jüngling den unbedingten Willen zur Macht mitgegeben und wohl auch die Skrupellosigkeit, diesem Ziel alle moralischen und ideologischen Bedenken unterzuordnen. Folgerichtig hatte Caesar Octavius testamentarisch adoptiert und zu seinem Alleinerben bestimmt.
Da ist auf der anderen Seite der junge Mann, der zeitweise mit den erbitterten Gegnern seines Namensgebers sympathisiert und sich von dem überzeugten Republikaner Cicero als Gegenpart des caesartreuen Marcus Antonius instrumentalisieren lässt. Erst als ihm das opportun erscheint, wechselt er die Seite und wird zum Vollstrecker der Pläne Caesars.
Wie Caesar betreibt er das Ende der Republik, um sich dauerhaft als Alleinherrscher zu installieren. Hemmungslos und brutal ordnet er diesem Zweck jedes Mittel unter, läßt Freunde fallen, wenn sie ihm nicht mehr nützen, benutzt Feinde, wenn er sich davon einen Vorteil verspricht.
Aber anders als Caesar versteht er es geschickt, die res publica mit ihren eigenen Mitteln auszuhebeln. Klug nutzt er die republikanischen Institutionen, um deren traditionelle Machtbefugnis auszuhöhlen und auf sich herüber zu ziehen.
Zugleich erweist er sich als Urvater der politischen Propaganda. Er reißt nicht einfach die Macht an sich, wie Caesar das versuchte. Er lässt sich wählen oder berufen, zum Konsul, zum Tribun, zum Pontifex maximus, zum „starken Mann“ des Triumvirats, schließlich zum Imperator. Der republikanische Senat, dessen Entmachtung er Schritt für Schritt vorantreibt, feiert ihn zugleich als „Retter der Republik“. Noch zwei Jahrtausende später lässt er Berthold Brecht an die „Kälber, die ihren Schlächter selber wählen“ denken und gibt das historische Vorbild für den demokratisch verbrämten Aufstieg eines Hitler oder Erdogan.
Historische Gerechtigkeit aber verlangt, nicht nur den jungen Octavianus zu sehen, der rücksichtslos seinen Weg nach ganz oben verfolgt. Zum Gesamtbild gehört eben auch der oben angekommene Augustus, der dem von hundertjährigem Bürgerkrieg zerfressenen Römischen Reich jahrzehntelangen Frieden und jahrhundertelange politische Stabilität beschert. Der den Bürgern Rechtssicherheit und Wohlstand gewährt. Der Kultur und Wissenschaft fördert. Der Anstand und Moral zu neuer Geltung verhilft, indem er das unwürdige Techtelmechtel des einstigen Mitstreiters Marcus Antonius mit Kleopatra gewaltsam enden lässt.
Das Jahr 27 v. Chr. markiert die Wende. Der Senat tagt mehrere Tage, pro forma setzt er die altbewährte staatliche Ordnung mit ihren demokratischen und rechtsstaatlichen Elementen wieder ein, macht in Wirklichkeit aber den Weg frei zu einer neuen, monarchistischen Staatsform, indem er Octavianus zu Augustus (der Erhabene) macht. Von der alten Republik bleibt nur noch die Fassade – und die bewusst gepflegte Erinnerung an den Stadtgründer Romulus und den siegreichen Feldherrn Caesar.
Aber Augustus hat nicht nur wieder einmal den Namen gewechselt. Wir erleben nun einen völlig anderen Menschen. Nun dient militärische Macht fast nur noch dazu, die Grenzen und den Bestand des Reiches zu sichern; Eroberungszüge wie das mit der Varusschlacht kläglich beendete Germanien-Abenteuer bleiben die Ausnahme. Die ansonsten Jahrzehnte anhaltende Pax Augusta erweist sich als Wohlstandsmotor. Treffend beschreibt der Chronist Velleius Paterculus Velleius Paterculus, wie das Volk die Herrschaft des neuen Kaisers wahrnahm: „Die Äcker fanden wieder Pflege, die Heiligtümer wurden geehrt, die Menschen genossen Ruhe und Frieden und waren sicher im Besitz ihres Eigentums.“
Der altehrwürdige Senat, entmachtet, aber immer noch existierend, durfte den Imperator im Jahre 2 v. Chr. mit einem Titel ehren, der mehr als alle Historiker-Elogen aussagt über den Wandel vom brutal nach Macht strebenden Octavianus zum gütig und gerecht diese Macht ausübenden Augustus: pater patriae (Vater des Vaterlandes). Der durchaus PR-bewusste Kaiser, der auch diese Titulierung natürlich selber inspiriert hatte, wollte damit dem ganzen Volk signalisieren, wie sehr er an alte Traditionen anknüpft: der Herrscher als „primus inter pares“ wie einst der „princeps senatus“ (heute wäre das etwa der Parlamentspräsident), der seine Rolle als „pater familiae“ versteht, also als treusorgender Familienvater.
Dieses Amtsverständnis kennzeichnete Jahrhunderte später auch das preußische Königtum. Insbesondere Friedrich der Große sah sich als erster Diener des Staates. Auch er reformierte und stabilisierte den Staat zum Wohle der Bürger. Aber auch schaffte das nicht ohne gelegentliche Härte und kriegerische Mittel. So erkennen wir im Alten Fritz nicht nur Augustus, sondern auch den jungen Octavianus.
Der Begründer des römischen Kaiserreichs erreichte das für damalige Verhältnisse stolze Alter von fast 77 Jahren. Vor zwei Jahrtausenden verstarb er in der Nähe von Neapel. Der Titel „der Große“ blieb ihm versagt – doch zählt er zu den ganz Großen der Weltgeschichte – mit dunklen Schatten, aber auch viel Licht.
H.J.M.