Was Kranke einsam macht...

Wer an einer so genannten „seltenen Krankheit“ leidet, hat doppeltes Pech: Neben körperlichen Beschwerden hat er auch noch Desinteresse und Unverständnis der Gesellschaft zu ertragen.

 

Die ersten Anzeichen schienen noch nicht besorgniserregend: Bei Kälte wurden die Fingerspitzen etwas steif, die Haut verfärbte sich leicht ins Bläuliche – als Frau jenseits der 50 ist man eben nicht mehr ganz so fit. Als aber die Hände sich auch ohne Kälteeinwirkung immer häufiger verkrampften und verfärbten, als ihr schließlich beim morgendlichen Blick in den Spiegel eine

Art Maskengesicht entgegenstarrte, beschloss unsere Patientin, einen Arzt aufzusuchen.

Leichter gesagt als getan: Die 50-Jährige lief, wie das Sprichwort sagt, „von Pontius zu Pilatus“ und bekam die abenteuerlichsten Diagnosen zu hören. Bis sie schließlich am Klinikum der Universität München landete, und zwar bei den auf Autoimmunkrankheiten spezialisierten Ärzten. Dort hörte sie zum ersten Mal, dass es eine so genannte „Seltene Krankheit“ namens Sklerodermie gibt – und dass sie daran leidet.

Nach den Ursachen muss noch geforscht werden

Was diese Krankheit bei ihr ausgelöst hat, weiß sie bis heute nicht. Die Ärzte können ihr dabei auch nicht weiterhelfen, weder die in München noch die wenigen anderen Spezialisten, die es in Deutschland für diesen Bereich gibt, zum Beispiel am Universitätsklinikum Bochum. Die Ursachenforschung steckt, wie bei den meisten dieser „Seltenen Krankheiten“ noch im Anfangsstadium. Zu breit ist, trotz der relativ geringen Fallzahlen, das Spektrum der Krankheitsbilder und ihrer individuellen Auslöser. So muss sich ärztliche Kunst noch weitgehend darauf beschränken, den Patienten das Leben mit den Symptomen erträglicher zu machen.

In unserem Falle hat die Patientin eifrig mitgearbeitet. Erster Schritt: mit dem Rauchen aufhören. Denn so viel weiß man schon: Bei systemischer Sklerodermie (aus dem Griechischen, „harte Haut) ist die Produktion von Bindegewebe aus der natürlichen Ordnung gebracht, es kommt zu Verengungen der Blutgefäße und folglich zu Durchblutungsstörungen, schließlich zu Entzündungen, Verdickungen und Verhärtung der Haut. Dabei sind Raucher, wie alle bisherigen Studien bestätigen, besonders gefährdet.

Unsere Patientin wird mit neu entwickelten Medikamenten und Infusionen behandelt, hat ihre Ernährung umgestellt, geht regelmäßig zum Physiotherapeuten. Dennoch kann sie nicht mehr arbeiten und hat auch keine Aussicht auf Heilung; sie kann nur die Symptome erträglicher machen und hoffen, dass die Krankheit nicht auch noch auf Nieren, Lunge oder Herz überspringt. Solche – gottseidank seltenen – Verläufe sind nicht nur schmerzhaft, sondern lebensbedrohend.

Allein, so sagt sie, würde sie damit psychisch nicht fertig. Lange Zeit fühlte sie sich mit ihrer Krankheit alleingelassen, Ärzte nahmen sie nicht ernst, Freunde ließen sie spüren: „Wird schon nicht so schlimm sein!“

Entscheidende Hilfe erfuhr sie dann aber von Leidensgenossen. Rund 1200 (von insgesamt vielleicht 15000 Betroffenen in Deutschland) sind in der vor 30 Jahren gegründeten „Sklerodermie Selbsthilfe e.V“ in 35 Regionalgruppen zusammengeschlossen. Sie geben alle drei Monate eine Informationsbroschüre heraus, die sich sowohl an die Mitglieder als auch an die breitere Öffentlichkeit wendet, vermitteln Ärzte und Kliniken, die auf die Behandlung von Sklerodermie spezialisiert sind. Vor allem aber helfen sie den Betroffenen durch Rat und persönliche Ansprache, den oft so schweren Alltag mit dieser Krankheit zu bewältigen.

            Hans-Jürgen Mahlitz.

 

 

Wie Patienten sich selber helfen

Patienten, die sich in Selbsthilfegruppen zusammenschließen, werden gelegentlich von der Ärzteschaft argwöhnisch beäugt: Schon wieder diese Laien, die nichts wissen, aber alles besser wissen wollen als die ausgebildeten Fachleute, so das Vorurteil, das natürlich einen Kern von Wahrheit hat. Es gibt diese ewigen Nörgler und Querulanten, und die können auch dem gutwilligsten Arzt das Leben schwer machen.

Die meisten Ärzte wissen aber auch: In den allermeisten Fällen haben sie es heute mit Selbsthilfegruppen zu tun, die sehr gut informiert sind und konstruktiv mitarbeiten. Sie greifen in vorbildlicher Weise das klassische „mens sana in corpore sano“ auf: Geist und Körper sind eine Einheit. Wenn die Seele leidet, können auch die Organe nicht gesunden. Und wenn eine Gesellschaft, die sich selbst gern human und sozial nennt und christlichen Werten verpflichtet fühlt, ihr Mitgefühl für kranke Mitmenschen davon anhängig macht, welches „Sozialprestige“ deren Krankheit hat, dann leiden die Betroffenen doppelt. Für sie sind Selbsthilfegruppen unverzichtbar.

Während Leukämie oder Aids, quotenträchtig präsentiert, in TV-Galas Millionenspenden einspielen, werden „Seltene Krankheiten“ aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeblendet. Dass Ärzte und Pharmaunternehmen  dennoch mit großem Aufwand, aber ohne Aussicht auf das große Geld Therapien und Medikamente für diese Betroffenen erforschen, verdient viel mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung. Wobei man sich hüten sollte, die eine Patientengruppe gegen die andere auszuspielen – jeder Kranke braucht Hilfe und Zuwendung, egal wie telegen sein Leiden sein mag.