Wo der Aufbau Ost gelungen ist

Nicht alle Landschaften blühen, aber es ist auch nicht alles schlecht

 

Ein Vierteljahrhundert Jahre nach dem Mauerfall wird gestritten, ob der Soli für den Aufbau Ost endlich entfallen kann, zumal er – so meinen manche – ohnehin nicht gehalten habe, was man sich von ihm versprochen hatte. Fazit: Kritik an zu langsamem Fortschritt ist in vielen Einzelfällen berechtigt, aber darüber sollte man das Positive nicht vergessen.

Blühende Landschaften hatte Helmut Kohl einst den DDR-Bürgern versprochen, die sich gerade anschickten, ihr Staatswesen in den Mülleimer der Weltgeschichte zu befördern. Die Menschen glaubten dem „Kanzler der Einheit“ und seinen Visionen, wie sie auch seinem Finanzminister Theo Waigel den Hinweis auf die Portokasse abnahmen, die angeblich für die Kosten der Einheit reichen sollte.

Soli-Milliarden statt "Portokasse"

Längst wissen wir: Es kam anders. Nicht alle Landschaften im Osten der Republik denken daran zu blühen. Und die Portokasse wäre schon nach wenigen Wochen leer gewesen, hätten der Steuerzahler nicht nachgelegt.
Der Politik, einschließlich Kohl und Waigel, muss man zugute halten: Es gab keine Handlungsanleitung für den Zusammenschluss zweier Staaten mit gegensätzlicher Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. In den Bibliotheken standen reihenweise Bücher, die detailliert beschrieben, wie man aus einer kapitalistischen eine sozialistische Gesellschaft macht, aber kein einziges Buch über den umgekehrten Vorgang.
Kohl und Co. also – um im Sprichwörtlichen zu bleiben – wußten nicht, was sie taten, als sie die marode DDR-Wirtschaft eingliederten. Auf die im rheinischen Bonn naheliegende Frage „Wer soll das bezahlen?“ freilich wußten sie Antworten: Erstens der Steuerzahler, zweitens die späten Opfer der Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1929. Deren Eigentum eigneten sich zunächst die DDR und nach der Wende die Bundesrepublik Deutschland ohne angemessene Entschädigung an. Der letztere Vorgang, im Privatleben als Hehlerei bezeichnet, wurde vom Bundesverfassungsgericht sanktioniert, dessen Präsident Roman Herzog später dankenswerterweise Bundespräsident werden durfte.Da sage einer, die Politik sei frei von Zufällen. . .

In der bundesdeutschen veröffentlichten Meinung wurden derweilen die Enteignungen, wie einst von Moskau und Ost-Berlin inszeniert, als Schlag gegen die „Junker“ – Synonym für „böse Reiche“ – interpretiert. Dass er sich in Wahrheit gegen den Mittelstand gerichtet hatte, wurde allenfalls am Rande vermerkt.
Was Moskau bis 1949 nicht geschafft hatte, vollendete die SED. Erich Honecker brüstete sich Anfang der 70-er Jahre damit, die „Bodenreform“ zum Abschluss gebracht zu haben. Seine Bilanz: Über 11.000 mittelständische Betriebe mit fast 600.000 Beschäftigten waren in „Volkseigentum“ überführt worden – ganz legal, wie seine Nachbeter uns heute noch erzählen.
Damit war der Mittelstand in der DDR nahezu vollständig liquidiert. Der zweite Schlag – ebenfalls „ganz legal“ – folgte nach der Vereinigung. Jene Mittelständler, die in der alten Heimat einen Neuanfang wagen wollten (und konnten), wurden genötigt, ihr eigenes einstiges Eigentum zurückzukaufen. Die mit der Abwicklung betraute Treuhand aber schaffte es nicht einmal, sich an solch „unrecht Gut“ hinreichend zu bereichern. Mitsamt ihrer Präsidentin Birgit Breuel verabschiedete sie sich Ende 1994 mit mehr als 200 Millionen Mark Schulden.

Trotz aller Probleme: Es gab auch große Erfolge

Umso höher ist es zu bewerten, dass sich dennoch in vielen Regionen der einstigen DDR wieder ein gesunder und leistungsfähiger Mittelstand heranbildet. Es sind zwar immer noch zu wenige positive Beispiele wie die Uhrenmanufakturen im sächsischen Glashütte, aber sie dürfen nicht kleingeredet werden.
Im Gegenteil: Es gibt sie, die „blühenden Landschaften“. Sie vorzuzeigen und zur Nachahmung zu empfehlen, bringt allemal mehr als der nostalgisch-unkritische Blick zurück auf eine Zeit, die mit dem Fall der Mauer abgelaufen war. Das ist die wahre Lebensleistung: ein Unrechtssystem friedlich abgeschafft und etwas Neues, in vielem, wenn auch nicht in allem Besseres aufgebaut zu haben.

Hans-Jürgen Mahlitz