Leo – der Name ist Programm

Satirisches und Ernsthaftes zur Wahl des neuen Papstes
Von Hans-Jürgen Mahlitz

Difficile est satiram non scribere (es ist schwierig, keine Satire zu schreiben), postulierte einst der römische Dichter Juvenal (61 bis 128 n. Chr.) – folgerichtig schrieb er reihenweise satirische Gedichte. Ob es damals einfach war, stets Vorlagen für Bissiges in Hexametern zu finden, ist nicht überliefert. Heute jedenfalls könnte er in Politik und Gesellschaft geradezu ein Überangebot an satireverdächtigen Stoffen finden.

Zuverlässigster Lieferant für Satire-Themen aller Art ist der Anführer jener Laienspielschar (dem fröhlichen Rheinländer auch bekannt als Thekentheater), die sich versehentlich ins White House verirrt hat und nun US-Government spielen soll – ohne Drehbuch und dann auch noch mit den falschen Soufleuren! 

Ja, neben mancherlei sonstigen Betätigungen – wie dem Betrieb von insgesamt 18 Golflöchern in Florida, und zwar in der richtigen Reihenfolge! – ist dieser „größte Satiriker aller Zeiten“ auch noch Präsident der US-Amerikaner. Aber nicht aller; er spaltet das Volk nicht nur mit fast allem, was er sagt, sondern allein schon durch das, was er auf dem Haupte trägt. Amerikas Friseure und ihre Kollegen in aller Welt sind beleidigt und fühlen sich diskriminiert, spätestens seit Trump auf die vorwitzige Frage einer Reporterin der New York Times, ob er nicht mal zum Friseur gehen wolle, antwortete, da komme er doch gerade her.

Die Gilde der Gebäudereiniger, Putzkolonnen, Putzfrauen, Parkettkosmetikerinnen oder wie auch immer man sie nennen möge, hingegen ist begeistert: Endlich erfährt ein traditionelles Arbeitsgerät, das als Symbol dieses ehrenwerten Berufsstandes gelten darf, die öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die ihm zusteht – der Mopp (englisch the mop) wird vom mächtigsten Amerikaner als Zierde seines Hauptes geadelt. 

Habemus fictus:: Mit dieser Fälschung zeigte Donald Trump, wen er zum Papst gewählt hätte – sich selbstLediglich auf den KI-generierten Foto-Fakes, die Trump als Papst zeigen, verschwindet das wirre Haupthaar unter der Tiara. Die im Konklave versammelten Kardinäle scheint dies aber nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Zwar wählten sie einen Amerikaner, jedoch den falschen. Zumindest aus Sicht des Präsidenten.

Aus Sicht des Satirikers könnte hier der Grund dafür liegen, dass es so lange dauerte, bis nach dem ersten weißen Rauch endlich der Gewählte auf dem Balkon des Petersdoms erschien. Womöglich musste der vormalige Kardinal mit amerikanischem und peruanischem Pass, bevor er sich der Öffentlichkeit als neuer Papst vorstellte, noch ein längeres Telefongespräch mit einem Landsmann im fernen Washington führen.

Man könnte sich das seinerseits so vorstellen: „Yes, wir Kardinäle haben einen neuen Papst gewählt – habemus papam, auf englisch: we have a pope.“ – „Yes, he ist American!“ – „No, his name is Leo XIV.!“ – „No, not Donald I.“ – „Yes, Leo XIV.“ – „No, not Donald I.“ Und so könnte es, frei übersetzt, weitergegangen sein: „Nein, die aktuellen Fernsehbilder aus Rom sind keine Fakes; sie sind echt!“ – „Nein, da gab es keinen Betrug, keine Manipulation. Das sind tatsächlich freie, geheime Wahlen.“ – „Nein, ich bin nicht der Interessenvertreter der US-Regierung.“ – „Nein, ich bin auch nicht der Papst der Amerikaner. Ich bin der Papst der 1,4 Milliarden Katholiken in mehr als 180 Ländern dieser Welt.“

Habemus papamSoweit die Satire, kommen wir zum Ernst. Offenbar hat Leo XIV. (Foto: Habemus papam: Leo XIV. auf dem Balkon des Petersdoms)  sich nach seiner Wahl viel Zeit genommen, um seine Antrittsrede gut vorzubereiten. Derweilen hatten sich auf dem Petersplatz und den Zufahrtstrassen im Minutentakt Zigtausende versammelt, Einheimische und Touristen, Gläubige, Ungläubige und Andersgläubige, sehr viele junge Leute, alle in fröhlicher Wir-sind-Papst-Stimmung. Solche Bilder hätte Donald Trump sich bei seiner zweiten Amtseinführung wohl auch gewünscht. Zudem gaben sie eine eindrucksvolle Antwort auf jene Frage, die einst Sowjetdiktator Stalin stellte und die auch zum heutigen US-Präsidenten passen würde: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ Gemeint ist damit: „Wie viel Macht hat der Papst?“

Die „Divisionen“ des Papstes stehen nicht unter Waffen. Am Abend dieses denkwürdigen 8. Mai 2025 standen sie fröhlich feiernd zu Zigtausenden auf den Straßen Roms, saßen zu Zigmillionen vor den Fernsehgeräten in aller Welt. Allein schon diese Zahlen signalisieren: Seit dem Moment, da Erzbischof Robert Francis Prevost zu Leo XIV: wurde, ist Donald Trump nur noch der zweitmächtigste Amerikaner. 

Die Antrittsrede des neuen Papstes war vielversprechend, eine Kurzprerdigt, die sich in ihrer theologischen Struktur an den deutschen Papst Benedikt XVI. anlehnte, zugleich aber inhaltlich und emotional auf den direkten Amtvorgänger Franziskus I. bezog. 

Die Namenswahl ist zugleich Programm: Der letzte Papst dieses Namens, Leo XIII., hatte 1891 mit seiner „Enzyklika Rerum Novarum“ die neuen Herausforderungen des Industriezeitalters aufgenommen und damit die moderne katholische Soziallehre begründet. Auch er war ein durch und durch „politischer“ Papst; im heutigen Vokabular würde man ihn „gut vernetzt“ nennen. Beispielhaft seine Rolle bei der Beendigung des so genannten Kulturkampfes in Deutschland; mit diplomatischen Geschick erzielte er, gegen den Willen der deutschen Zentrumspartei, eine tragfähige Vereinbarung mit Reichskanzler Otto von Bismarck. Auch gelang es ihm, die französischen Katholiken mit der Republik auszusöhnen.

So deutet vieles darauf hin, dass auch Leo XIV. ein politischer Papst sein wird, ganz im Sinne des polnischen Papstes Johannes Paul II. Innerkirchlich ist ein eher behutsamer Reformer zu erwarten, keinesfalls ein „Revolutionär“. Nach den ersten Eindrücken kann man ihm zutrauen, dass er den schwierigen Balanceakt zwischen Erneuerung und Bewahrung schafft, zwischen Regionen, in denen Größe und Einfluss der Kirche schwinden, und solchen mit gigantischen Zuwachsraten, zwischen Traditionalisten, die – frei nach Paulus – immer noch meinen, in der Kirche hätten Frauen „zu schweigen und sich unterzuordnen“, und jenen Fortschritts-Gläubigen, deren wichtigster Traum der von einer Päpstin ist. Einer Kirche, die sich katholisch (καθολικός/allumfassend) nennt, fühlen sie sich alle zugehörig. 

Leo XIV. tritt an mit großen Erwartungen und Hoffnungen. Wieweit er den hohen Ansprüchen gerecht werden kann, davon hängt nicht nur die Zukunft der von ihm geführten Kirche ab, sondern die Bedeutung der Religionsgemeinschaften insgesamt, ja der Religion an sich in der modernen Gesellschaft. Und darüber hinaus auch manche politische Weichenstellung. Man kann, aber muss nicht unbedingt gläubiger Katholik sein, um diesem neuen Papst allen nur denkbaren Erfolg zu wünschen.