Leo – der Name ist Programm
Satirisches und Ernsthaftes zu Papst Leo XIV.
Von Hans-Jürgen Mahlitz
Difficile est satiram non scribere (es ist schwierig, keine Satire zu schreiben), postulierte einst der römische Dichter Juvenal (61 bis 128 n. Chr.) – folgerichtig schrieb er reihenweise satirische Gedichte. Ob es damals einfach war, Vorlagen für Bissiges in Hexametern zu finden, ist nicht überliefert. Heute jedenfalls liefern Politik und Gesellschaft geradezu ein Überangebot an satireverdächtigen Stoffen .
Zuverlässigster Lieferant für Satire-Themen aller Art ist der Anführer jener Laienspielschar, die sich ins White House verirrt hat und nun US-Government spielen soll – ohne Drehbuch, mit falschen Texten, und dann auch noch mit den falschen Soufleuren!
Ja, neben mancherlei sonstigen Betätigungen – wie dem Betrieb von insgesamt 18 Golflöchern in Florida, und zwar in der richtigen Reihenfolge! – ist dieser „größte Satiriker aller Zeiten“ auch noch Präsident der US-Amerikaner. Aber nicht aller; er spaltet das Volk nicht nur mit fast allem, was er sagt, sondern allein schon durch das, was er auf dem Haupte trägt. Amerikas Friseure und ihre Kollegen in aller Welt sind beleidigt, Putzfrauen, Parkettkosmetikerinnen oder wie auch immer man sie nennen möge, hingegen begeistert: Endlich erfährt ein traditionelles Arbeitsgerät, das als Symbol dieses ehrenwerten Berufsstandes gelten darf, die öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die ihm zusteht – der Mopp (englisch the mop und leicht zu verwechseln mit dem Mob) wird vom mächtigsten Amerikaner als Zierde seines Hauptes geadelt.
Lediglich auf den KI-generierten Foto-Fakes, die Trump als Papst zeigen, verschwindet das wirre Haupthaar unter der Tiara. Die kürzlich im römisch-katholischen Konklave versammelten Kardinäle scheint dies aber nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Zwar entschieden sie sich bei der Papstwahl für einen Amerikaner, jedoch für den falschen. Zumindest aus Sicht des Präsidenten.
Aus Sicht des Satirikers könnte hier der Grund dafür liegen, dass es so lange dauerte, bis nach dem ersten weißen Rauch endlich der Gewählte auf dem Balkon des Petersdoms erschien. Womöglich musste der vormalige Kardinal mit amerikanischem und peruanischem Pass vorher noch ein längeres Telefongespräch mit einem Landsmann im fernen Washington führen.
Man könnte sich das so vorstellen: „Yes, wir Kardinäle haben einen neuen Papst gewählt – habemus papam, auf englisch: we have a pope.“ – „Yes, he ist American!“ – „No, his name is Leo XIV.!“ – „No, not Donald I.“ – „Yes, Leo XIV.“ – „No, not Donald I.“ Und so könnte es, frei übersetzt, weitergegangen sein: „Nein, die aktuellen Fernsehbilder aus Rom sind keine Fakes!“ – „Nein, da gab es keinen Betrug, keine Manipulation. Das sind tatsächlich freie, geheime Wahlen.“ – „Nein, ich bin nicht Teil der US-Regierung.“ – „Nein, ich bin auch nicht der Papst der Amerikaner. Ich bin der Papst der 1,4 Milliarden Katholiken in mehr als 180 Ländern.“
Soweit die Satire, kommen wir zum Ernst. Offenbar hat Leo XIV. sich nach seiner Wahl viel Zeit genommen, um seine Antrittsrede gut vorzubereiten. Derweilen hatten sich auf dem Petersplatz und den Zufahrtstrassen im Minutentakt Zigtausende versammelt, Einheimische und Touristen, Gläubige, Ungläubige und Andersgläubige, sehr viele junge Leute, alle in fröhlicher Wir-sind-Papst-Stimmung. Solche Bilder hätte Donald Trump sich bei seinen zwei Amtseinführungen wohl auch gewünscht. Zudem gaben sie eine eindrucksvolle Antwort auf jene Frage, die einst Sowjetdiktator Stalin stellte und die auch zum heutigen US-Präsidenten passen würde: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ Gemeint ist damit: „Wie viel Macht hat der Papst?“
Die „Divisionen“ des Papstes stehen nicht unter Waffen. Am Abend dieses denkwürdigen Papstwhl-Tages standen sie fröhlich feiernd zu Zigtausenden auf den Straßen Roms, saßen zu Zigmillionen vor den Fernsehgeräten in aller Welt. Für sie war klar: Seit dem Moment, da Erzbischof Robert Francis Prevost zu Leo XIV. wurde, ist Donald Trump nur noch der zweitmächtigste Amerikaner. Und man muss nicht Amerikaner und auch nicht katholisch sein, um zu wünschen, dass sie am Ende Recht haben.
Die Antrittsrede des neuen Papstes war vielversprechend, eine Kurzprerdigt, die sich in ihrer theologischen Struktur an den deutschen Papst Benedikt XVI. anlehnte, zugleich aber inhaltlich und emotional auf den direkten Amtvorgänger Franziskus I. bezog.
Die Namenswahl ist zugleich Programm: Der letzte Papst dieses Namens, Leo XIII., hatte 1891 mit seiner „Enzyklika Rerum Novarum“ die neuen Herausforderungen des Industriezeitalters aufgenommen und damit die moderne katholische Soziallehre begründet. Auch er war ein durch und durch „politischer“ Papst; im heutigen Vokabular würde man ihn „gut vernetzt“ nennen. Beispielhaft seine Rolle bei der Beendigung des so genannten Kulturkampfes in Deutschland; mit diplomatischem Geschick erzielte er, gegen den Willen der deutschen Zentrumspartei, eine tragfähige Vereinbarung mit Reichskanzler Otto von Bismarck.
Leo XIV. ist – auf eine dem Amt angemessene Weise – ebenfalls ein politischer Papst. Innerkirchlich ist er wohl ein eher behutsamer Reformer, keinesfalls ein „Revolutionär“. Man kann ihm zutrauen, dass er den schwierigen Balanceakt zwischen Erneuerung und Bewahrung schafft, zwischen Regionen, in denen Größe und Einfluss der Kirche schwinden, und solchen mit gigantischen Zuwachsraten, zwischen Traditionalisten, die – frei nach Paulus – immer noch meinen, in der Kirche hätten Frauen „zu schweigen und sich unterzuordnen“, und jenen Fortschritts-Gläubigen, deren wichtigster Traum der von einer Päpstin ist.
Leo XIV. trat an mit großen Erwartungen und Hoffnungen. Dass er hohen Ansprüchen gerecht werden kann, zeigte sich beeindruckend auf dem Weltjugendtreffen: Von seinen 266 Amtsvorgängern war vermutlich keiner so nah an den Menschen – vor allem an den jungen, und die sind die Zukunft der Kirche. Dieser Papst hat die Gabe, Gläubigen, Andersgläubigen und Nicht-mehr-Gläubigen den Blick auf den Stellenwert der Religion in der Welt von heute und morgen zu schärfen. Das geht über die Grenzen der römisch-katholischen Konfession und des Christentums insgesamt hinaus, gerade in Zeiten, da menschenverachtende Ideologen und Machtgierige versuchen, die Welt in ihrem Sinne neu zu ordnen. Diese Weltordnung kennt nur das Recht des Stärkeren, macht Politik in Wildwestmanier und fordert Moral nur von denen, die sich noch nicht unterworfen haben. Dagegen zu halten sind alle Religonsgemeinschaften aufgerufen, insbesondere die drei großen monotheistischen. Papst Leo XIV. könnte hier der "primus inter pares"sein, der vorangeht, damit die anderen ihm folgen.
Das mag nur ein kleiner Hoffnungsschimmer sein. Dennoch: Man muss nicht unbedingt gläubiger Katholik sein, um diesem Papst allen nur denkbaren Erfolg zu wünschen.