…und Frieden auf Erden?

Solange im Nahostkonflikt beide Seite vor allem auf historische Rechtsansprüche setzen,

bleibt auch im „biblischen Land“ die biblische Verheißung

fern wie vor 2000 Jahren – Hintergründe zur Geschichte Palästinas

Mehr Geschichte geht nicht, zumindest wenn man aktuelle Politik mit historischen Bezügen begründen, erklären oder kritisieren will: Der Staat Israel, vor 70 Jahren per Dekret der UNO entstanden, war und ist für Juden aus aller Welt das „Land unserer Väter“, für die Palästinenser hingegen die angestammte Heimat, die sie beziehungsweise ihre Vorfahren durch eben diese Staatsgründung verloren haben. Beide Seiten führen historisch begründete Ansprüche auf dieses drei Weltreligionen heilige Land und insbesondere auf die Stadt Jerusalem an.

So fragwürdig solche historischen Ansprüche auch sein mögen, so wenig sie wohl auch zum alleinigen Leitfaden für zukunftsorientierte Politik taugen – in jener Region, die wir Nahost nennen, prallen sie so unerbittlich aufeinander, dass man sie nicht unbeachtet beiseite lassen kann. Zumal, wenn historisch gesicherte Daten und Fakten mit fundamentalen religiösen Kernaussagen vermengt werden. Fragen wir also frei nach Leopold von Ranke, "wie es eigentlich gewesen ist"  in den letzten Jahrtausenden im Lande Palästina.

Vor mehr als drei Jahrtausenden formuliert die Heilige Schrift der weltweit ältesten monotheistischen Religion, wie Gott Abraham das „verheißene Land“ verspricht, wie Moses das Volk Israel aus ägyptischer Gefangenschaft ins heutige Palästina führt und wie die Stadt, die sich heute Jerusalem nennt, erobert wird. Das war vermutlich vor rund 3200 Jahren. Als historisch gesichert gilt, dass David als König der Israeliten um das Jahr 1000 v. Chr. seinen Regierungssitz von Hebron nach Jerusalem verlegte. Sein Sohn und Nachfolger Salomo erbaute um 950 v. Chr. den ersten Tempel und machte so Jerusalem zum religiösen Zentrum des Judentums.

Persiens Nebukadnezar II. ließ 586 v. Chr. den Tempel zerstören und die jüdische Oberschicht ins so genannte babylonische Exil entführen. Das endete 50 Jahre später: Perserkönig Kyros II. gestattete sogar den Wiederaufbau des Tempels.

Die Römer zerstörten im Jahr 70 n. Chr. diesen zweiten Tempel, machten Caesarea zur Verwaltungsmetropole Palästinas, verboten Juden den Zutritt zu ihrer damals bereits tausendjährigen Hauptstadt und versuchten, Jerusalem zu einem Zentrum der Jupiterverehrung umzufunktionieren. Was freilich nicht von Dauer war.

Denn kurz zuvor war in Jerusalem und im palästinensischen Umland ein höchst außergewöhnlicher Prediger aufgetreten. Schon bei seiner Geburt in Bethlehem, so berichten die Evangelisten des Neuen Testaments, war dieser Jesus als Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen, also als Sohn Gottes, angekündigt und der Menschheit „Frieden auf Erden“ versprochen worden.  Doch den jüdischen Hohepriestern galt er als Gotteslästerer, den römischen Machthabern als gefährlicher Hochverräter; in Jerusalem wurde er – so der Kern des apostolischen Glaubensbekenntnisses der Christenheit – "gekreuzigt, gestorben und begraben", um nach drei Tagen wieder aufzuerstehen.

Drei Jahrhunderte sollte es dauern, bis der Glaube an den gekreuzigten und von den Toten auferstandenen Gottessohn zur zweiten monotheistischen Weltreligion und Jerusalem zu einem ihrer Zentren werden sollte; wesentlichen Anteil daran hatten die Römerin Helena und ihr Sohn, Kaiser Konstantin der Große.

Wiederum drei Jahrhunderte später tritt eine dritte monotheistische Weltreligion auf den Plan: der Islam, begründet und formuliert vom Propheten Mohammed. Jerusalem, das zunächst gegenüber Mekka und Medina eine eher zweitrangige Bedeutung hat, wird 637 von arabischen Truppen erobert. Sie machen die Stadt zu einem der politischen und religiösen Zentren des Islam und der muslimisch geprägten Mächte. Das gelegentliche Auftreten christlicher Kreuzfahrer aus Europa spielt hingegen in der Geschichte Palästinas keine nachhaltige Rolle.

Die arabisch-muslimische Dominanz dauerte an bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, was gewöhnlich mit dem Ende des Mittelalters und dem Beginn der Neuzeit gleichgesetzt wird. Europa orientierte sich gen Westen; Amerika und andere neu entdeckte oder erschlossene Weltregionen waren wirtschaftlich wie machtpolitisch weit interessanter als Palästina.  Das machtpolitische Vakuum im vorderen Orient nutzte das aufstrebende Osmanische Reich zur Expansion. Weite Teile des Balkan und des Nahen Ostens standen jahrhundertelang unter türkischer Herrschaft.

Jerusalem war unter osmanischer Herrschaft Verwaltungszentrum für ganz Palästina. Viele Sultane bemühten sich um Liberalität und religiöse Toleranz im Rahmen der damaligen Verhältnisse, andere hingegen regierten mit eiserner Faust. Zwang und Unterdrückung bekamen in solchen Phasen besonders die Juden zu spüren, die schon lange vor dem Aufkommen zionistischer Bestrebungen in verstärktem Maße begonnen hatten, in das Land ihrer Väter zurückzukehren.

Vom einstigen osmanischen Großreich ist nicht mehr geblieben als die Weltmachtträume des derzeitigen türkischen Präsidenten. Der Niedergang setzte schon Anfang des 19. Jahrhunderts ein. Nach dem Ersten Weltkrieg war der "kranke Mann am Bosporus" endgültig am Ende. Britische Truppen besetzten Palästina. Offiziell stand die Region unter Völkerbundsmandat, verwaltet wurde sie von London.

Die weltpolitischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts prägten die Geschichte Palästinas intensiv und dramatisch. Es ist geradezu makaber, dass ausgerechnet der Holocaust, die von Deutschland quasi fabrikmäßig betriebene Ermordung von Millionen Juden, den letzten Anstoß gab, diesem seit zwei Jahrtausenden in weltweite Diaspora vertriebenen Volk endlich wieder eine Heimat – also einen eigenen Staat – zu geben. Und dafür kam vernünftigerweise nur das damalige britische Mandatsgebiet in Frage.

Die Vereinten Nationen hatten damit übrigens eine Art Zwei-Staaten-Lösung vorweggenommen, die allerdings nicht einmal einen Tag lang hielt. Ihr schnelles und blutiges Ende haben freilich nicht Europa, nicht Amerika und auch nicht der junge Staat Israel zu verantworten, sondern jene fünf arabischen Nachbarn, die sofort in den Krieg zogen. Das Ergebnis war allerdings anders als vorgesehen. Israel ging aus diesem wie auch weiteren von Arabern angezettelten Kriegen gestärkt hervor, während die Palästinenser statt im eigenen Staat in menschenunwürdigen Lagern landeten, wo sie zum Teil bis heute von ihren muslimischen „Brüdern“ als jederzeit verfügbare revolutionäre Masse gehalten werden.

Das schäbige Verhalten diktatorischer Regime in vielen muslimisch geprägten Ländern kann man „den“ Palästinensern per se nicht vorwerfen. Insofern haben sie durchaus akzeptable historische Begründungen, Palästina als ihre Heimat zu betrachten. Allerdings müssen sie auch akzeptieren, dass die Juden zumindest ebenso überzeugende, zudem noch wesentlich ältere Heimatrechte geltend machen können.

Das gilt uneingeschränkt auch für den politischen Status der Stadt Jerusalem. Frieden in Nahost wird es nur geben, wenn Israelis und Palästinenser zu einem für beide tragbaren Kompromiss finden (der durch die Verlegung der US-Botschaft in den Westteil der Stadt nicht verhindert, allenfalls momentan erschwert wird!).

Gelingen kann das aber wohl nur, wenn man endlich den politischen vom religiösen Status der Stadt trennt. Wer immer in Jerusalem das Sagen hat, ob Israelis, Palästinenser oder beide gemeinsam, wer immer die Stadt oder den einen oder anderen Teil von ihr als seine Hauptstadt betrachten darf – er muss  uneingeschränkt die Heiligen Stätten schützen und den freien Zugang sowie die ungestörte Ausübung aller Religionen sicherstellen. Dabei hat neben den direkt Beteiligten auch das so genannte christliche Abendland eine wichtige Rolle zu spielen. Nicht zuletzt, indem wir mahnend daran erinnern, dass hier, mitten in Palästina, vor zwei Jahrtausenden der Menschheit „Frieden auf Erden“ verheißen wurde. Es wird Zeit, diese Kernbotschaft unserer von Altem und Neuem Testament gleichermaßen geprägten Weltreligion wirklich ernst zu nehmen.   HJM