Ausgewogen oder einseitig?

Zur Lage im Nahen Osten und zur besonderen Verantwortung Deutschlands
Ein Kommentar von Hans-Jürgen Mahlitz

Es ist eine Seite, die Geschichte Palästinas sachlich und möglichst neutral darzustellen. Eine andere Seite ist es, Gegenwart und Zukunft dieser Region zu bewerten und zu beurteilen. Für mich als deutschen Christen, dessen Bibel aus Neuem und Altem Testament besteht, bedeutet das: Ende der Neutralität, subjektiv Stellung beziehen!

Auf ein historisch begründetes Heimatrecht berufen sich Juden und Palästinenser gleichermaßen. Allerdings haben die Argumente der Nachfahren Abrahams und Moses für mich ein stärkeres Gewicht. Entscheidend aber sind andere Aspekte:

Bei allem Respekt vor Goethe, aber "wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen", können wir nicht dem Wort des Dichterfürsten folgen: "Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen".  Erstens, weil die Welt sich gründlich gewandelt hat; was einst fast so weit weg war wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in Peking umfällt, ohne unser Leben hier in Europa zu tangieren, ist uns inzwischen sehr nahe gekommen – sicherheitspolitisch, wirtschaftlich, in diesem Falle vor allem aber emotional.

Denn zweitens können wir uns, trotz "Gnade der späten Geburt", trotz ernsthaften Bemühens um Vergangenheitsbewältigung und Wiedergutmachung, trotz "Staatsraison" und Holocaust-Denkmal, nicht aus der Verantwortung stehlen. Als Deutscher, beim Ende des national-sozialistischen Verbrecher-Regimes gerade einmal im dritten Lebensjahr, trage ich natürlich keine persönliche Schuld. Aber das ist mein Volk, in dessen Namen millionenfacher Massenmord begangen wurde. Es waren Deutsche, die Auschwitz geplant, gebaut und betrieben haben, es waren Deutsche, die bei Massenerschießungen den Finger am Abzug hatten. Und es waren auch viele Deutsche, die ihre Augen schlossen, um nicht zu sehen, was sie nicht sehen wollten. Es waren Deutsche, deren Verbal-Antisemitismus den Holocaust vorbereitet hat, und es sind Deutsche, die immer noch leugnen oder zumindest verharmlosen und relativieren, was in diesen  schrecklichen zwölf Jahren geschehen ist, die ihren immer noch latenten Antisemitismus hinter Antizionismus, Israelkritik und Antiamerikanismus zu verbergen suchen.­­­

Natürlich waren auf Seiten der Täter, der Mitläufer und der "klammheimlich" Schadenfreudigen nicht nur Deutsche. Natürlich gab und gibt es Antisemitismus in vielen Völkern, zum Teil inzwischen brutaler und direkter als bei uns. Aber macht die Schuld anderer die eigene Schuld geringer?

Aus meiner Sicht kann es nur eine Konsequenz geben: Wenn es um die Existenzberechtigung des Staates Israel und um die Sicherheit seiner Bevölkerung geht, hören Ausgewogenheit und Neutralität auf. Ich habe keine freie Auswahl zwischen Angreifer und Angegriffenem, ich weiß, auf welcher Seite ich zu stehen habe. Und mit dem Stolz darauf, dass in unserem Land endlich der Aufbau eines stabilen demokratischen Rechtsstaates gelungen ist, beantwortet sich auch die Frage, ob ich die einzige funktionierende Demokratie im gesamten Nahen Osten favorisiere oder die Israel umgebenden autoritären, zum Teil offen diktatorischen Regime samt den von ihnen unterhaltenen Terrororganisationen.

Diese grundsätzliche Haltung ist kein Hindernis, über einzelne Punkte der Politik Israels oder auch der Israel-Politik des vormaligen US-Präsidenten kontrovers zu diskutieren. Das ist unter Demokraten nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten. So kann man durchaus der Meinung sein, Israels Siedlungspolitik sei einem wie immer gearteten Friedensprozess nicht förderlich. Solche Kritik soll auch offen ausgesprochen werden. Doch kann ich die Frage nicht völlig verdrängen: Ist der Bau von Wohnungen wirklich genau so gefährlich und unfriedlich wie der Bau von Raketenstellungen?

Und weiter: Dienen exakte Herkunftsangaben von Lebernsmitteln und Gebrauchsgegenständen wirklich nur der informellen Selbstbestimmung mündiger Verbraucher, oder nicht doch eher ideologisch geprägten Boykottaufrufen?  

Aber damit sind wir schon wieder beim einseitig Emotionalen – ohnedem geht in Palästina wohl nichts.