Selbstmord – aus Angst vor dem Tod? Teil 1

Wie das klassische Berufsbild des Journalismus mmer mehr verblasst

Von Hans-Jürgen Mahlitz

Wozu brauchen wir eigentlich Journalisten? In den "guten alten Zeiten” war das Berufsbild noch in Ordnung: Scharnier zwischen Informanten und Medienkonsumenten: berichten, erklären, kommentieren! Heute glauben immer mehr Menschen, dank Google, Twitter und Facebook brauche man dieses Scharnier nicht mehr. Und immer mehr Journalisten scheinen vor den selbsternannten Pseudo-Kollegen zu resignieren, hecheln der Netz-Community nach. So droht ein Berufsstand sich selber abzuschaffen – Selbstmord auf Raten aus Angst vor dem Tod.

Journalismus heute: viel Technik, Bildschirme, aber auch noch etwas Papier.
Die Digitalisierung brachte vielen Journalisten Verbesserungen in der täglichen Arbeit,
mehr Chancengleichheit und gute Möglichkeiten zum Gedankenaustausch.
Nun geht es darum, sich jenen, die diese neuen Medien missbrauchen, um die Welt
mit geistigem Unrat zu überfluten, energisch entgegenzustellen.                              Foto: Mahlitz

 

Montag  Abend, beste Sendezeit. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen eröffnet die wöchentliche Talk-Runde. Ein ritueller Höhe- (oder Tief-?)Punkt: Die Moderatoren-Assistentin naht mit den aktuellen Ergüssen der Netzgemeinde. Was nun kommt, ist zumeist hart, doch nur selten fair.

Szenenwechsel: Washington D.C., Hauptstadt der derzeitig einzigen Supermacht. Der Oberhäuptling, dem „super“ wohl noch nicht genug ist, hat dem Rest der Welt Wichtiges mitzuteilen. Dazu braucht er keine Pressekonferenz und keine Medien – er twittert.

In beiden Fällen spielen Journalisten bestenfalls noch eine untergeordnete, oft sogar überhaupt keine Rolle. Frank Plasbergs Mitarbeiterin Brigitte Büscher kann immerhin noch das Übelste aussortieren und dem Publikum ersparen – zumindest dieser Teil ihrer Tätigkeit ist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig; dafür verdiente sie eher eine Schmutzzulage.

Und Donald Trump nutzt den direkten Weg zum Smartphone des Endverbrauchers vorzugsweise, um seine Verachtung für diese „Journaille” kundzutun. Er sieht sich offenbar als Protagonist einer modernen, digitalen Form der direkten Demokratie. Journalisten hingegen sind in diesem simplen Weltbild nur noch lästige Relikte einer vordemokratischen Zeit. 

Und so behandelt Trump sie auch: Wenn er ihnen nicht gänzlich aus dem Wege gehen kann, zum Beispiel, weil diese „altmodischen Europäer” nach internationalen Veranstaltungen auf ebensolch altmodischen Pressekonferenzen bestehen, sieht der US-Präsident darin allenfalls Gelegenheiten, kritische Fragesteller zu beschimpfen. Die allfällige Demütigung seiner Amtskollegen – am liebsten jener aus dem Lande seiner Vorfahren – erfolgt dann in aller Regel erst später. Per Twitter!

Brauchen wir also eigentlich gar keine Journalisten mehr? Ist dieser Berufsstand dabei, überflüssig zu werden? Oder er gar , sich selber überflüssig zu machen?

Bleiben wir beim ersten Beispiel: Zunächst einmal muss man dem Hart-aber-fair-Team der ARD bescheinigen, dass es mit dem Internet-Echo behutsam umgeht. Eben so, wie es von verantwortungsbewussten Journalisten zu erwarten ist. Dennoch bleibt nach jedem Auftritt der Netz-Beauftragten ein unangenehmes Gefühl: Warum nehmen gestandene Journalisten diese in aller Regel total unjournalistische Community so ernst, so wichtig? Wie wäre es, wenn der Moderator seine Assistentin samt ihren Twitter-, Facebook- und sonstigen Verlautbarungen einfach höflich, aber bestimmt zurück in die Kulissen schicken würde: Tut nichts zur Sache, interessiert uns nicht!

Denn eigentlich sollte den Zuschauer doch interessieren, was die – hoffentlich kompetenten – Teilnehmer der Gesprächsrunde zum angesagten Thema mitzuteilen haben, welche Meinung sie haben, mit welchen Fakten sie diese begründen, ob sich bestenfalls aus der Diskussion neue Aspekte und Erkenntnisse ergeben. Mich interessiert diese Sendung, weil ich mir selber meine Meinung bilden, mir natürlich Bestätigung der eignen Position erhoffe, aber auch bereit bin, diese in Frage zu stellen. Welche Meinung „der Stammtisch” dazu hat, interessiert mich nicht, egal ob dieser „Stammtisch” in irgendeinem Wirtshaus tafelt oder sich weltweit im Internet etabliert hat.

Die Sprache ist das wichtigste Werkzeug

Zugegeben, Diese Haltung ist nicht frei von gewissem Stolz auf ein halbes Jahrhundert journalistischer Tätigkeit: Schule, Hochschule, praktische Berufsausbildung (mit 500 Mark Brutto im ersten Volontärsjahr!) – wir haben unser Handwerk ordentlich  gelernt, wir wissen, dass unser wichtigstes Werkzeug die deutsche Sprache ist, wir haben einen journalistischen Verhaltenskodex entwickelt und uns weitgehend auch daran gehalten. 

Wenn zum Beispiel Informationen mit einer Sperrfrist versehen waren, wurde der vereinbarte Zeitpunkt der Veröffentlichung korrekt abgewartet; man konnte sich darauf verlassen, dass die Kollegen es auch so halten. Wenn ein Gesprächspartner Vertraulichkeit erbat, blieb dieser Teil des Gesprächs vertraulich, also unveröffentlicht. Wenn zugesagt war, einen Interviewtext vor Veröffentlichung zum gegenlesen und „absegnen“ vorzulegen, wurde das so gehandhabt. 

Meinungs- und Pressefreiheit war auch für unsere Journalisten-Generation ein hohes Gut. Aber uns waren auch die Grenzen bewusst. Wir sahen uns noch nicht als „Vierte Gewalt“, wussten noch, dass unser Grundgesetz in Artikel 20  bewusst und gewollt nur drei „Gewalten“ beschreibt: Legislative, Exekutive und Judikative. Alle drei frei und unabhängig, aber keineswegs im sozusagen luftleeren Raum agierend. Denn ihnen voran steht der Satz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Das ist natürlich nicht als Freibrief für Populismus zu verstehen. Immerhin aber kann man sich zu Recht darauf berufen, wenn man gelegentlich fragt, im Namen welchen Volkes da Recht gesprochen wurde.

Da fällt einem natürlich sofort der Casus Renate Künast ein. Die streitbare Grünen-Politikerin hat schon oft und stets sehr intensiv Positionen vertreten, die – um es zurückhaltend zu formulieren – nicht jedermanns Sache waren. Bei der Wahl ihrer sprachlichen Mittel war sie nie zimperlich; andersdenkende Politiker und gelegentlich auch Journalisten zahlten gern in gleicher Münze zurück.

In solchen, sachlich harten Auseinandersetzungen gab es sicher auf beiden Seiten auch die eine oder andere sprachliche Entgleisung. Doch blieben derartige Grenzüberschreitungen eher Ausnahmen.

In diesem Bereich waren – selten genug – die alten Zeiten tatsächlich gut. So, wie ganz allgemein in der Gesellschaft noch Sätze wie „Das tut man nicht“ galten, war uns Journalisten bewusst, dass man manches eben „nicht schreibistt“, „nicht abbildet“, „nicht sendet“. Und auch die Politiker wussten, dass man manches „so nicht sagt“.

Fortsetzung dieses Beitrags unter "Selbstmord – aus Angst vor dem Tod? Teil 2