Verschmelzen statt spalten – Teil 1

Kernfusion könnte alle Energieprobleme lösen – aber nach einem halben Jahrhundert Forschung warten wir immer noch auf den Durchbruch

Eine Bestandsaufnahme von Hans-Jürgen Mahlitz

Fusionskraftwerk Sonne: Seit nunmehr 4,5 Milliarden Jahren wird Wasserstoff zu Helium verschmolzen und dabei Energie freigesetzt. Foto: ESA/NASASonnenenergie im Reaktor ­– Erfolg bei Experiment mit Kernfusion. Klingt zeitnah aktuell, ist es aber nicht. Unter dieser Überschrift habe ich über die jüngsten Ergebnisse der Kernfusionsforschung berichtet. Ergebnisse, die durchaus als sensationell empfunden wurden, als wichtiger Schritt zur Lösung aller Energieprobleme: einfach auf unserer Erde nachmachen, was die Sonne und Milliarden von Sternen uns seit Milliarden von Jahren vormachen, nämlich vier Wasserstoffkerne zu einem Heliumkern verschmelzen; dabei wird so viel Energie freigesetzt, dass man locker auf Öl, Gas und Kohle, aber auch auf AKW, Solarkollektoren und Windräder verzichten könnte. Mein Bericht über solch hoffnungsvolle Perspektiven erschien im Kölner Stadt-Anzeiger am 24. Juli 1971, also nicht gerade zeitnah, aber damals wie heute aktuell.

Damals ging es um Experimente an der Kernforschungsanlage Jülich in Nordrhein-Westfalen: Einem Forscherteam war es gelungen, ein Wasserstoff-Plasma (bei dem also die Elektronen von den Atomkernen getrennt sind) auf über 100 Millionen Grad Celsius zu erhitzen und für mehrere Tausendstel Sekunden zu stabilisieren. Dieses wie auch parallel laufende Experimente an anderen Instituten, zum Beispiel in Garching bei München, zeigten zumindest eines: eine kontrollierte Energiegewinnung durch Verschmelzung leichter Atomkerne ist nicht nur physikalisch möglich, sondern auch technisch machbar.  Dies allerdings nur mit gigantischem Aufwand.

Denn das heiße und unter enormem Druck stehende Plasma darf mit nichts anderem in Berührung kommen; es gibt keine Materie, die solche Extrembelastungen aushalten könnte. Daher muss das Plasma durch magnetischen Druck freischwebend im Vakuum gehalten werden, wofür man riesige Mengen an Energie benötigt – bislang immer noch mehr, als am Ende bei der Fusion herauskommt.

Heute, nach mehr als einem halben Jahrhundert Kernfusionsforschung, sieht es wieder einmal so aus, als komme man dem Durchbruch in puncto Energie-Effizienz näher. Am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien hatten Forscher ein Wasserstoffplasma mit Hilfe von Lasern so stark erhitzt und komprimiert, dass sie eine anhaltende Kernfusion entzünden und erstmals einen Überschuss an thermischer Energie (1,1 Megajoule) erzielen konnten.

Bekanntgegeben wurden diese stolzen Ergebnisse vom US-Energieministerium, dem dieses Institut nahe San Francisco formell untersteht. Tatsachlich aber handelt es sich um eine militärische Forschungseinrichtung. So arbeitete hier auch Edward Teller, der „Vater“ der amerikanischen Wasserstoffbombe. Ob der auch von der deutschen Forschungsministerin bejubelte Erfolg also wirklich der friedlichen Nutzung oder doch eher der Weiterentwicklung thermonuklearer Waffensysteme dient, ist also ebenso fraglich wie der tatsächliche Energieaufwand für den Betrieb der Versuchsanlage.

Bei näherem Hinsehen fällt nämlich auf, dass ein Teil der beim Aufbau des Experiments eingesetzten Energie in der Erfolgsmeldung gar nicht vorkommt – offenbar wurde die Energiebilanz schön gerechnet. So war denn auch der Traum von der unbegrenzten Energie für alle zum Nulltarif bald ausgeträumt: Dem Fusionskraftwerk, das zuverlässig, sicher und preisgünstig Strom liefert, ist man durch dieses Experiment allenfalls einen kleinen Schritt nähergekommen.

Fortsetzung: Verschmelzen statt  spalten– Teil 2