Von Siegern und Verlierern…

Oft wurde bei den Landtagswahlen der Stimmzettel zum bundespolitischen Denkzettel

„Dann siegt mal schön!“ Das geflügelte Wort des ersten deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss war erstens nicht ganz ernst gemeint und zweitens ausschließlich an Soldaten der noch jungen Bundeswehr gerichtet. Doch bis heute fühlen sich wahlkämpfende Politiker jeglicher Couleur davon angesprochen. 

Wie ernst sie den präsidialen Scherz nehmen, erlebten wir wieder einmal nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen: Vor lauter selbsternannten Siegern hatte das staunende Publikum einige Mühe, zu erkennen, wer nun eigentlich gewonnen und wer verloren hatte.

Wie einfach die Methoden des Schönredens funktionieren, führten beispielhaft Bayerns Grüne vor. Statt darüber nachzudenken, warum ihnen über 200.000 Wählerstimmen abhandengekommen sind, feierten sie „das zweitbeste Ergebnis aller Zeiten“. Es reicht also, im Koordinatensystem parteiinterner Wahl­-arithmetik Bezugspunkte herauszupieken, die das aktuelle Ergebnis wunschgemäß relativieren. Und das Glas, das man selbst in der Hand hält, ist sowieso grundsätzlich halbvoll – halbleer sind nur die Gläser der anderen.

Geradezu phantasiebegabt zeigten sich die bayerischen Sozialdemokraten: Ihrem Allzeittief von 8,4 Prozent (immerhin noch 3,4 Punkte über der Fünfprozenthürde) gewannen sie den tröstlichen Hinweis ab, die Umfragen seien zuletzt ja noch schlechter gewesen.

Den Liberalen, Dritter im Bunde der Berliner Ampel, blieb nicht einmal dieser Trost. Die 3,0 Prozent, mit denen sie aus dem bayerischen Landtag gekegelt wurden, waren noch schlechter als die letzten Umfragen, die sie noch bei vier Prozent gesehen hatten.

Ihre Parteifreunde in Hessen waren da schon besser dran. Trotz herber Verluste fanden sie zu später Stunde dieses Wahlabends doch noch einen Grund zum Feiern: Gerade noch über die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht, das heißt; fünf weitere Jahre im Wiesbadener Landtag.

Die Spitzenkandidatin der hessischen SPD wird ihnen dort nicht über den Weg laufen. Die nach eigenen Bekundungen überaus erfolgreiche Bundesinnenministerin fuhr in ihrem Heimat-Bundesland ein dermaßen außerordentliches Wahlergebnis ein, dass sie unverzüglich den geordneten (und lange vorher schon angekündigten) Rückzug antrat – auf der Berliner Regierungsbank sitzt es sich halt bequemer als auf der Wiesbadener Oppositionsbank. Von den Ampelgenossen wurde die Rückkehrerin freudig begrüßt, mit Blumensträußen und Umarmungen. Selbst der Bundeskanzler ließ sich zu einem flüchtigen Händedruck hinreißen.

Geradezu überschwänglich gefeiert wurde bei der AfD: Rekordergebnisse in beiden Bundesländern. Dass sie hinter den Prognosen und erst recht hinter den eigenen hochgesteckten Erwartungen deutlich zurückgeblieben waren, ließen die Parteioberen jedoch unerwähnt. Ihrem Langzeitziel einer Regierungsbeteiligung sind sie jedenfalls weder in Bayern noch in Hessen näher gekommen.

Wahlsieger ohne Wenn und Aber ist Hessens alter und neuer Ministerpräsident Boris Rhein. Offenbar hat er den Wählern die perfekte Mixtur aus erfolgreicher Landespolitik, klarer Positionierung gegenüber der Bundespolitik und persönlicher Integrität präsentiert – und wurde zu Recht dafür belohnt. Natürlich profitierte er auch von der Schwäche der Berliner Ampel, ganz im Gegensatz zur Bundes-Union, die stagniert und zusehen muss, wie immer mehr Protestwähler zur AfD abwandern.

Mit fast 35 Prozent ist Rheins CDU in jene Bereiche vorgedrungen, die bislang der bayerischen Schwesterpartei vorbehalten schienen. Aber die Hessen sind nun bis auf 2,4 Prozentpunkte an die südöstlichen Nachbarn herangekommen, Außerdem können sie auf einen klar positiven Trend verweisen. Plus 7,6 Prozentpunkte, das ist eine Steigerung um satte 28 Prozent! Auf derartige Glücksmomente haben nicht nur Deutschlands Christdemokraten lange warten müssen.

Allerdings hat auch Rheins Amtskollege Markus Söder die wichtigsten Wahlziele erreicht: Er bleibt Ministerpräsident, hat mit seinem Wunschpartner – trotz allerlei Querelen – eine stabile Mehrheit und ist dank einem Verlust von nur 0,2 Prozentpunkten mit einem blauen Auge davongekommen. Söders Siegerpose ist also glaubwürdig und nachvollziehbar. Außer, man sieht das durch die rot-grün getönte Brille vieler Meinungsmacher, vor allem in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Da wird der CSU-Chef schnell mal zum „größten Wahlverlierer“, werden minus 0,2 schnell zum „Debakel“. Sieht man genauer hin, wird die ganze Schlecht-Rechnerei allerdings zum Rohrkrepierer: Die CSU hat laut amtlichem Endergebnis nämlich über 32.000 Erststimmen und über 10.000 Zweitstimmen hinzugewonnen. Und das nennt man, solange an Deutschlands Schulen noch die traditionellen Grundrechenarten gelehrt werden, Plus und nicht Minus. 

Das medienwirksamere Minus kommt nur durch die höhere Wahlbeteiligung zustande. Um das Publikum nicht zu verwirren, erspart man ihm solche Feinheiten der gehobenen Rechenkünste – Hauptsache, am Feindbild Söder wird nicht gerüttelt.

Zu dumm, dass die Wähler sich mehrheitlich weigerten, der einseitigen medialen Dauerberieselung zu folgen. Dass sie gern mal den Wahlzettel zum Stimmzettel machten. Dass sie einfach nicht kapieren wollten, welch Füllhorn an Wohltaten die Ampel seit nunmehr zwei Jahren verkündet und in seltenen Fällen auch umsetzt. Dass sie sich nicht in Wechselstimmung bringen ließen, sondern zwei Unions-Ministerpräsidenten, also irgendwie „Rechte“, in ihren Ämtern bestätigten. Schon Bertold Brecht wusste: So geht das nicht – am besten, die Regierung wählt sich ein anderes Volk!

Hans-Jürgen Mahlitz