»Selten«, aber nicht selten

Vier Millionen Deutsche leiden unter einer »Seltenen Krankheit«

 

Ganz so selten, wie der Name sagt, sind „Seltene Krankheiten“ wohl doch nicht. Allein in Deutschland leiden etwa vier Millionen Menschen an einer dieser 8000 Erkrankungen, die unter die amtliche Definition der EU fallen: nicht mehr fünf Patienten unter jeweils 10000 Personen. Insgesamt geht man in der Gemeinschaft von bis zu 30 Millionen Betroffenen aus – „selten“ klingt anders.

In den meisten Fällen verlaufen diese Krankheiten chronisch, führen zu Invalidität, verkürzen die Lebenserwartung. Erste Symptome zeigen sich oft schon im Kindesalter. Vier Fünftel der Erkrankungen sind nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Forschung genetisch bedingt.

Eva Luise Köhler, die Ehefrau des ehemaligen Bundespräsidenten, hat gemeinsam mit ihrem Mann vor acht Jahren eine Stiftung gegründet, die eng mit der "Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen/ACHSE") zusammenarbeitet und jährlich einen mit 50.000 Euro dotierten Forschungspreis vergibt. Frau Köhlers Engagement beruht auch auf eigenen Erfahrungen: Ihre Tochter leidet an einer solchen "Seltenen Krankheit" So unterschiedlich auch die einzelnen Krankheitsbilder sind, alle Betroffenen verbindet geradezu schicksalhaft die immer gleiche Problematik. Wegen der geringen Zahl von Fällen gibt es zu wenig statistisch verwertbares Untersuchungsmaterial, es ist nahezu unmöglich, die für aussagekräftige Studien erforderliche Patientenzahl räumlich überschaubar zusammen zu bekommen. Die wenigen ärztlichen Zentren, die sich auf eine dieser Erkrankungen  spezialisiert haben, liegen weit auseinander; die Anfahrtswege sind für die Patienten oft unzumutbar.

Ein weiteres Problem: Die Entwicklung neuer Medikamente ist bei solchen komplexen Krankheitsbildern extrem teuer, die Pharmaindustrie aber kann bei oft nur wenigen Hundert Patienten nichts damit verdienen.

Abhilfe sollte hier die Politik schaffen. Doch hängt das Engagement der Parlamentarier und Regierenden für Minderheiten mit nur wenigen Wählerstimmen auch vom Druck der öffentlichen beziehungsweise veröffentlichten Meinung ab.

In unseren Medien kommen solche Patienten nicht vor

Und wie sieht es da in unseren Medien aus? Hier sind die „Seltenen Krankheiten“ wirklich selten. Im Klartext: sie kommen so gut wie gar nicht vor. Das Thema ist unspektakulär, „Promis“ scheinen nicht betroffen oder sagen nichts.

Umso erstaunlicher: Dennoch geschieht hier schon eine Menge. So hat das Bundesgesundheitsministerium 2012 ein Forschungsprogramm mit einem Fördervolumen von fünf Millionen Euro aufgelegt, das im nächsten Jahr ausläuft und hoffentlich in mindestens gleichem Umfang fortgeführt wird. Zudem wurden die Genehmigungskriterien für speziell entwickelte Medikamente angepasst und die Zulassungsgebühren herabgesetzt.

 

Noch stärker engagiert sich das Bundesforschungsministerium. Es hat in den letzten fünf Jahren 16 Forschungsverbünde zum Thema „Seltene Krankheiten“ mit insgesamt 33 Millionen Euro gefördert. Dabei handelt es sich um ins gesamt 53 Einzelprojekte, an denen aber in jedem Falle deutsche Partner beteiligt sind.

 

Und Ende August 2013 setzte das Bundeskabinett ein Nationales Aktionsbündnis für Menschen mit „seltenen Krankheiten“ in Kraft. Es war eine der letzten Amtshandlungen der alten Bundesregierung – und eine ihrer besten.           

H.J.M.