Der biblische Urknall

 

Raumfahrt, Teil 2: Was astronomische Forschung den Menschen bringt

 

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde – das hebräische Original als großflächige Wandinschrift, in einer katholischen Kirche in Oberbayern eher eine Rarität (Foto: Mahlitz/St. Nikolaus, Rosenheim)  Astronomisches Wissen hatte stets auch eine religiöse Komponente. Der erste Satz der jüdischen Thora, die zugleich Teil des christlichen Alten Testaments ist (Foto: Der hebräische Originaltext als Wandinschrift in der Rosenheimer Stadtkirche), lautet "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde". Das ist der für alle Zeiten gültige Kernsatz der biblischen Schöpfungsgeschichte. Wie dieser Schöpfungsakt konkret ablief, wissen wir heute nicht viel besser als vor 3000 Jahren die unbekannten Autoren jener Texte, die wir heute "die Bücher Moses" nennen. Wir wissen, dass es so, wie damals beschrieben, nicht war, dass es nicht sieben Tage, sondern Jahrmillionen dauerte, bis die Erde nicht mehr ganz so wüst und leer war. Wir können das, was wir den Urknall nennen, facettenreich beschreiben – konkret vorstellen können wir ihn uns nicht.

 

Wer immer diesen biblischen Urknall vor drei Jahrtausenden erstmals formulierte – er hat damit, wenn auch indirekt, für alle Zeiten die Antwort auf alle skeptischen Fragen gegeben, à la "Was wollen wir da oben?" – "Was geht uns das an?" Schon die Reihenfolge ist keineswegs zufällig: Erst der Himmel, dann die Erde. Auffällig auch: Das hebräische Wort für Himmel – הַשָּׁמַיִם – kommt, wie in Genesis 1,1, fast nur im Plural vor, eine sprachliche Eigenart, die vielleicht als eine Art Pluralis majestatis verstanden werden kann: Himmel, All, Universum, die über allem stehende Grundeinheit. Die Welt, in der wir leben, ist eben nicht begrenzt auf diesen winzigen Felsbrocken, der da als Planet Nummer 4 um einen "Gelben Zwerg" namens Sonne am Rand einer von Billionen Galaxien kreist. Finis terrae, das Ende der Welt, ist eben nicht der äußerste westliche Felsbrocken im bretonischen Département Finistère. Es ist in den Weiten des Alls am weitesten von uns entfernt, nach derzeit gültiger Definition über 13 Milliarden Lichtjahre, und markiert in Wahrheit nicht das Ende, sondern den Anfang unserer Welt. Die Lichtstrahlen, die unsere Super-Teleskope heute auffangen, haben eine Reise von 13 Milliarden Jahren hinter sich; in jedem Jahr haben sie 9,5 Billionen Kilometer zurückgelegt. Auch wenn unser Vorstellungsvermögen angesichts solcher Dimensionen versagt – das ist die Welt, in der wir leben. Und die uns sehr wohl "etwas angeht".

 

So sahen das wohl auch die Menschen, die vor gut 4000 Jahren jene Gegend besiedelten, die heute zum südlichen Sachsen-Anhalt gehört. Sie hinterließen uns die Himmelsscheibe von Nebra, eines der bedeutendsten Zeugnisse frühgeschichtlicher Astronomie. Die Bronzeplatte wurde 1999 gefunden, sie ist inzwischen als eindeutig echt erwiesen. Wie die astronomischen Symbole zu erklären sind, ist hingegen wissenschaftlich noch ungeklärt. Seriöse Interpretationen gehen davon aus, dass sie unter anderem eine wichtige langfristige Planungsunterlage für die Landwirtschaft ermöglichten. Offenbar erlaubte sie es auch, den Unterschied zwischen Sonnenjahr und Mondjahr zu berechnen und auszugleichen, also eine Art frühgeschichtliche Schaltjahrregelung.

 

Dies war für die Menschen damals vermutlich genauso wichtig wie das, was wir heute von Raumforschung und Raumfahrt erwarten. Die Mission des Astronauten Matthias Maurer – der vierte Deutsche auf der ISS – hatte nichts zu tun mit den jüngsten Weltraumhopsern vergnügungssüchtiger Dollarmilliardäre. Der promovierte Materialwissenschaftler hatte auf der Raumstation harte Arbeit auf hohem Niveau zu leisten: Über 100 Experimente standen auf dem Programm. Neben seinem engeren Fachgebiet, der Erforschung von Materialverbindungen, die unter irdischen Schwerkraftverhältnissen nicht möglich sind, führte Maurer zahlreiche biomedizinische Experimente durch, von denen unter anderem neue Erkenntnisse zur Funktion des menschlichen Immunsystems oder des Herz-Kreislauf-Systems zu erwarten sind. Weitere Forschungsthemen beschäftigten sich mit Künstlicher Intelligenz und mit Erdbeobachtung. Dass auch Fragen des Klimawandels auf dem Arbeitszettel des Astronauten standen, war, nicht momentanen politischen Aufgeregtheiten geschuldet, sondern wie alle Aufgaben langfristig geplant und vorbereitet; zum Teil bewegen sie sich gerade in der Phase des Übergangs von der ergebnisoffenen Grundlagenforschung zur konkreten Anwendung – für Maurer wohl eine zusätzliche spannende Herausforderung.

Ohnehin wird man erst hinterher wissen, was in nutzbringende Anwendung für die Menschen auf der Erde einmünden wird. Denn ob im irdischen Labor oder 400 Kilometer höher auf der ISS – zur Freiheit des Wissenschaftlers gehört auch.  die, ein Scheitern zumindest als Möglichkeit gelten zu lassen. Ganz wie „im wirklichen Leben“: erst die Forschung, dann das Ergebnis, erst die Frage, dann die Antwort. Wer meint, die Antworten schon vorher zu wissen, belügt nicht nur alle anderen, sondern auch sich selbst. H.J.M.

 

Fortsetzung: Raumfahrt/Teil 3 –Nutzen, aber auch Risiken